Panorama
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Ausgebrannt.

Spätestens wenn man in den 90ern geboren ist, kommt man mit folgender Ideologie auf die Welt: Alles ist möglich. Der Job ist kein Brotverdienst, sondern Mittel zur Selbstverwirklichung. Und wenn man aus der Schule geht, weiß man am besten schon ganz genau, wie die nächsten 10 Jahre auszusehen haben. Der Lebensstil sollte gesund sein, gespickt mit Superfoods, die extra für uns aus dem Globalen Süden herangeschafft werden. Effizienz ist das Zauberwort: Nur wer effizient ist, kann seine Möglichkeiten optimal nutzen. Lebe jeden Tag so, als wäre er dein letzter. Sei immer die beste Version deiner selbst.

Ich kann nicht genau sagen, womit es angefangen hat. Vielleicht schon in der Grundschule, mit fünf ein Jahr früher eingeschult als die anderen. Oder auf dem Gymnasium, wo mein Jahrgang der zweite war, an dem die Bildungspolitik ihr glorreiches G8-System erprobte. Vielleicht war es aber auch der reine Leistungsdruck, den man mit der Muttermilch aufsaugt und der jeden Erwerbslosen als Versager klassifiziert. Ich wurde in ein System geboren, in dem alles möglich ist und in dem man nach allem Möglichen streben muss, um erfolgreich zu sein.

Mein Leben von außen betrachtet war ich auf Erfolgskurs. Mit siebzehn das Abi, die erste eigene Bleibe und direkt an die Uni. Mit 21 Jahren sprach ich acht Sprachen, hatte den Bachelor in der Tasche, zahlreiche Nebenjobs und Artikel in einer renommierten deutschen Tageszeitung veröffentlicht. Ich trieb siebenmal die Woche Sport und war nebenher Umweltaktivistin. Mit 22 hatte ich einen Burnout.

Das Tückische am Burnout ist, dass man seine Grenzen erst erkennt, wenn es zu spät ist. Und wenn vorher alles möglich schien, fühlt man sich hinterher umso mehr als Versager. Zu erkennen, dass die Grenzen unserer Vorstellungskraft und die Grenzen unseres Körpers zwei verschiedene Paar Schuhe sind, ist eine harte Lektion. Und natürlich wünscht man sich, man hätte es früher gewusst.

Stunde 0: Drei. Wochen. Ohne. Schlaf.

Burnout hat viele Gesichter und äußert sich nicht nur mental, sondern oft auch körperlich. Ich kenne ihn aus meiner Familie: Manchmal ist es ein Tinnitus, manchmal kann man auf einmal nicht mehr sprechen und das Immunsystem ist dahin. Der Körper kennt viele Wege, dem Kopf zu sagen, dass es genug ist.

Mein Burnout kam schleichend, der Zusammenbruch von einem Tag auf den anderen. Zwei Jahre zuvor hatte sich mein Immunsystem verabschiedet. Nach jeder Stressphase (alle drei bis vier Wochen) wurde ich krank. Die längste Stressphase, die mir letztendlich den Rest gab, kam im Sommer 2018. Fünf Monate Praktikum, direkt nach dem Bachelor, vier Stunden Pendeln jeden Tag. Schon nach zwei Monaten zählte ich die Tage, auf die ich mich eigentlich gefreut hatte. Im Oktober begann ich meinen Master.

Der Zusammenbruch kam mit dem ersten Urlaub nach fünf Jahren. Drei Wochen Schottland-Rundreise, um Geld zu sparen mit dem Fernbus. Ich fuhr krank in den Urlaub. Die Nacht vom 31. Juli auf den 1. August war die letzte, in der ich schlief.

Als ich am 21. August zurückkam, war ich seit drei Wochen wach. Auf der Reise hatte ich mir den Magen ruiniert, als ich verzweifelt versucht hatte, meinen Körper mit Schlafmitteln aus der Apotheke zum Einschlafen zu bewegen. Noch am Tag meiner Rückkehr schrieb mich meine Hausärztin für den Rest des Jahres krank. Psychopharmaka sollten mich müde machen, nach einer Woche griff der Gewöhnungseffekt, ich nahm erst die doppelte, dann die dreifache Dosis. Weitere Experimente mit verschreibungspflichtigen Medikamenten, Endstation starkes Sedativum. Mitte Oktober konnte ich das erste Mal wieder ohne Tabletten schlafen.

In meinem Fall war der Zusammenbruch notwendig, um mein Leben, meine Ziele, vor allem aber meine Erwartungen an mich selbst auf den Prüfstand zu stellen. Bei manchen mag das anders sein, zumindest hoffe ich das. Rückblickend glaube ich, dass es geholfen hätte, bereits in der Schule die Grundlagen des Stressmanagements zu lernen. Oder ein Buch von einem Menschen zu lesen, der genau dann, wenn er sein Leben am meisten genießen sollte, am Ende ist.

Dass man für einen Burnout nicht Mitte 40, Lehrer*in, Polizist*in oder Manager*in sein muss, musste ich auf die harte Tour lernen. Es gibt keinen Leitfaden, keinen, der einem als 20-jährigem Student sagt, dass man dabei ist, sich tot zu arbeiten. Aber auf sich selbst zu achten ist auch eine Leistung. Für chronische Workaholics und Ja-Sager wie mich, eine noch größere.

To be continued …

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