Dieser Beitrag ist Teil der Blog-Serie #Waldtagebuch. Alle Beiträge der Reihe findest du hier.
Keyenberg, 26.06.21 – „Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei!“ Ich verstärke den Griff und stemme mich ins Seil. Kurz spähe ich am Stamm der Esche vorbei, an dem die Raupe am Seilzug befestigt ist. Der Balken schwebt jetzt auf gut acht Metern, Stück für Stück wandert er nach oben in Richtung Gerüst.
„Eins, zwei …“ Zu dritt stemmen wir uns in den Waldboden.
„Ach, hier wird noch gebaut“, höre ich auf einmal Alma sagen. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass die Gruppe aus Düsseldorf zurückgekommen ist. Am Vormittag waren einige Aktivist_innen vom Wald aus aufgebrochen, jetzt ist es neun Uhr abends.
Eine Viertelstunde später sitzen wir um den Feuertopf und lauschen Almas Bericht. Den Tag über haben wir auf Social Media verfolgt, was bei der Demo abgegangen ist. Einige Tausend hatte es aus Angst vor dem geplanten NRW-Versammlungsgesetz auf die Straße getrieben. Klimabewegung, Linke, Fußballfans. Am Ende war ihre Furcht vor Repressionen berechtigt.
„Die haben die ganze Demonstration illegal mitgefilmt“, erzählt Alma. Sie wirkt sichtbar mitgenommen. „Der Antifa-Block wurde immer wieder angegriffen und es wurde mit Schlagstock und Pfefferspray versucht, Leute rauszuziehen. Dadurch hat sich die Demo krass verzögert. Am Ende haben sie den ganzen Antifa-Block gekesselt.“
„Und mit welcher Begründung?“, frage ich.
„Eine war, dass Banner zu hoch gehalten wurden und das als Vermummung ausgelegt wurde.“
Ich schüttle den Kopf und weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.
„Zwei Leute haben außerdem Bengalos gezündet“, fährt Alma fort. „Der Rauch davon gilt auch als Vermummung. Aber ganz ehrlich, solange Antifa-Menschen auf irgendwelchen Todeslisten von Nazis landen, geht es nun mal nicht anders!“
Eine Weile sitzen wir schweigend da.
„Wenn die jetzt schon so hart gegen linke Demos vorgehen“, setze ich an, „wie soll es dann erst nach dem Gesetz werden?“
Kurz muss ich an Ella aus dem Danni denken, die am Mittwoch wegen Gewalt gegen einen Polizisten zu über zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Der anonyme Beamte hatte einen blauen Fleck im Gesicht gehabt. Für die Polizei ein versuchter Totschlag.
Ich schlucke und sehe zu Laila hinüber. Als die Antifa in Düsseldorf gekesselt wurden, hatten sich andere Blöcke dazwischen gestellt. Laila hat Tränengas und Knüppelschläge abgekriegt, als offiziell Verletzte gilt sie damit nicht. Sie gibt sich gelassen aber fuck, sie geht noch zur Schule!
Eine Stunde später steige ich in meinen Klettergurt. Ich muss irgendwas machen, mich bewegen. Die hilflose Wut schnürt mir die Kehle zu. Laschet hat einmal gesagt, er regiere NRW so, wie er es sich auch für den Bund vorstellen würde. Keine Ahnung was ich mache, wenn er die Wahl gewinnt. Auswandern? In den Untergrund gehen? Es macht mir eine scheiß Angst.
Ich befestige die Prusik am Seil und mache mich an den Aufstieg. Es dämmert bereits, gleich zehn Uhr. Ein paar frühe Glühwürmchen begleiten mich auf meinem Weg nach oben. Sie geben mir das Gefühl, in einem Feenwald gelandet zu sein. Meine ganz eigene Blase, fernab der Realität.
Als ich das Gerüst auf zwanzig Metern Höhe erreiche, lasse ich mich auf einen Balken sinken und sehe zu, wie Yuki unter mir nachfolgt. Keine fünf Minuten später ist er oben und wir sichern uns in den Traversen. Mit vereinter Kraft hieven wir den Balken vom Flaschenzug auf das Gerüst.
„Ich lass mir von keinem Mann mehr sagen, dass er krass ist“, sage ich, als ich mich schwankend im Stockdunkeln niederlasse, um den Holzbalken festzuknoten. Ich habe Angst. Ich fühle mich großartig.
Mit ein paar Handgriffen hat Yuki den Balken auf seiner Seite befestigt. „Das war´s eigentlich auch schon“, sagt er und holt eine Banane raus.
„Kommst du nicht mit runter?“
„Ne, ich bleib hier noch ein bisschen sitzen.“
Ich nicke, befestige Acht und Brustschlinge und beginne, mich abzuseilen. Bis auf die letzten Stimmen vom Lagerfeuer ist der Wald still. Der Strahl meiner Kopflampe durchbricht die Nacht. „Jetzt bin ich auch ein Glühwürmchen“, rufe ich nach oben.
Yuki lacht.
