Dieser Beitrag ist Teil der Serie #Heimatdorf. Die gesammelten Artikel findest du hier.
Es ist ein grauer Tag Anfang Januar, als Averell vor den geräumten Häusern steht und zur Abbruchkante blickt. Seit August ist er in Lützerath und im benachbarten Keyenberg aktiv, einer Protestgruppe hatte er bis dato nicht angehört. „Ich habe erst hier vor Ort meine Strukturen gefunden“, sagt er. „Alle größeren Akteure der Klimagerechtigkeitsbewegung sind hier vertreten.“
Lützerath, das ist der Ort, der als nächstes dem Garzweiler Braunkohletagebau weichen soll. Während für Windräder in NRW ein Mindestabstand von einem Kilometer zu Wohnsiedlungen gilt, wird hier in wenigen Metern Entfernung rund um die Uhr gebaggert. „Das Ausmaß der Zerstörung wird hier sehr deutlich“, sagt Averell. „Menschen werden aus reinen Profitgründen aus ihren Dörfern vertrieben.“
Was vor kurzem noch ein Familienzuhause war, gleicht jetzt einem Hochsicherheitstrakt.
Die Wut aufs System ist in Lützerath allgegenwärtig. „Planet over profit“, heißt es auf einem Transparent, auch das Pariser Klimaabkommen steht im Fokus. Vier Häuser in Lützerath sind bereits verlassen und abgesperrt. Sie sollen als erste im Ort abgerissen werden. Hinter zwei Reihen mannshoher Zäune patrouillieren im Licht der Flutlichtstrahler alle zwei Meter Wachleute von RWE, um ein Besetzen der Häuser durch Aktivist_innen zu verhindern. Was vor Monaten noch ein Familienzuhause war, gleicht jetzt einem Hochsicherheitstrakt.
Von den schlechten Aussichten lässt sich Averell die Laune an diesem Tag nicht verderben. „Als ich hier ankam, habe ich Lützerath als einen sehr schönen, offenen Ort empfunden. Die Solidarität und Wärme der Menschen untereinander hat mich sehr berührt.“ Für Averell damals der Grund, sich ganz dem Kampf für die Dörfer zu verschreiben. Mittlerweile ist er ein fester Bestandteil der Aktivistenszene vor Ort.
Vier Tage, sehr viel Geschichte
Ende Januar passiert dann, worauf alle gewartet haben: RWE schreitet zur Tat. Ein Großaufgebot von Polizist_innen begleitet die Abbruchfahrzeuge. Aktivist_innen, die vorsichtshalber die Straße bewacht haben, versperren mit einer Blockade den Weg ins Dorf. Auch als die Abrissarbeiten begonnen haben, können die Sicherheitskräfte nicht verhindern, dass Maschinen immer wieder durch Aktivistis besetzt werden. Am vierten Tag wird das letzte Haus dem Erdboden gleichgemacht.
Dass die Häuser abgerissen werden, obwohl der Ort noch bewohnt ist, sehen viele in Lützerath als Schikane.
Ein Bild, das gleich in mehrfacher Hinsicht verstört. Vor allem die Anwohner leiden unter der Situation. Während hundert Meter weiter die Kohlebagger Tag und Nacht arbeiten, sehen sie nun mit an, wie die gegenüberliegenden Häuser ihrer einstigen Nachbarn abgerissen werden. Im Verlauf des Umsiedlungsprozesses hat sich RWE zwar verpflichtet, die leerstehenden Häuser abzutragen. Dass dies bereits geschieht, während der Ort noch bewohnt ist, sehen viele hier als Schikane.
„Die Braunkohle muss im Boden bleiben“
Eine Schikane, die angesichts neuerer Entwicklungen umso unverständlicher wirkt: erst im Oktober wurde ein Gutachten publik, das die Notwendigkeit der Umsiedlungen anzweifelt. Die Tatsache, dass es vom Bundeswirtschaftsministerium ein Jahr lang unter Verschluss gehalten wurde, sorgte für noch mehr Unmut in den Dörfern. Laut einer Studie von Greenpeace und dem deutschen Institut für Wirtschaftsforschung wiederum, dürften in Garzweiler nur noch maximal 280 Millionen Tonnen Braunkohle abgebaggert werden, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Der aktuelle Plan von RWE sieht eine Schürfung von etwa 670 Millionen Tonnen vor.
„Viele Leute hier sind solidarisch, manche haben mit der Geschichte abgeschlossen und wollen in Ruhe gelassen werden.“
„Wenn RWE Lützerath anrührt, überschreiten sie eine rote Linie und kündigen damit auch das 1,5 Grad Ziel auf“, meint Averell dazu. „Das darf nicht passieren. Die Braunkohle hier muss im Boden bleiben.“ Sieben Dörfer sind aktuell von der Grubenlage am Tagebau Garzweiler betroffen, trotz Abriss gehen die Proteste in Lützerath weiter. Erst vor kurzem ist mit dem „Auenland“ ein neues Baumhausdorf entstanden.
„Viele der Leute hier sind solidarisch mit uns, unterstützen uns oder sind selber organisiert“, sagt Averell. „Manche haben mit der Geschichte abgeschlossen und wollen in Ruhe gelassen werden.“ Angesichts der Zustände, mit denen die verbliebenen Bewohner schon jetzt leben müssen, ist das wenig verwunderlich.
